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Die stillende Maria von Aschersleben

Gütig blickt sie drein, die stillende Gottesmutter auf dem Altarretabel, das in der Dauerausstellung des Museums zu sehen ist. An ihrer entblößten rechten Brust saugt der nackte Jesusknabe, halb sitzt er auf ihrem Schoß, halb hat sie ihn umklammert. Ein prächtiges, blau und golden gefärbtes Gewand ziert Maria. Zwei Engel senken links und rechts über ihr eine Krone auf ihr Haupt. Der rote Apfel in ihrer Hand soll den Sündenfall, aber auch die Vergebung der Sünden symbolisieren; die goldene Kugel in der Hand des Knaben die Unvergänglichkeit. Die Statue des heiligen Stephanus ziert den linken Flügel des Retabels; barfuß und mit einem Buch in der Hand steht er für die Verkündigung des Christentums. Auf dem rechten Flügel ist wohl Bischof Nikolaus zu sehen, die Hand zum Segensgruß erhoben.

Das Katharinenhospital

Ursprünglich blickte die Maria lactans den Kranken des Katharinenhospitals entgegen. Im christlichen Mittelalter gehörten ein Kunstwerk und sein Standort eng zusammen. Schauen wir uns also an, in welcher Umgebung das Altarretabel einst aufgestellt war:
1211 stiftete der Mönch Theoderich das Hospital am östlichen Stadttor (heute Ecke Breite Straße/ Augustapromenade). Es ist die erste urkundlich belegte Einrichtung dieser Art in Aschersleben. Urkunden belegen, dass Halberstädter Bischöfe über viele Jahrzehnte hinweg das Katharinenhospital immer wieder reich beschenkten – ein Beleg für die hohe Bedeutung, die der Ort innehatte.

Mittelalterliche Hospitäler waren meist kirchliche Einrichtungen und verfügten über kein medizinisch geschultes Personal. Mönche und Nonnen übernahmen als Akt der christlichen Fürsorge die Versorgung der Kranken und Alten und boten ihnen Erholung, ausgewogene Ernährung und regelmäßiges Baden. Für die Heilung von Krankheiten war Gott zuständig: „… denn ich bin der HERR, der dich heilt“, heißt es in der Bibel (2. Mose 15,26). Zentraler Bestandteil des Hospitals war die Kapelle, die der heiligen Katharina und dem heiligen Georg geweiht war. Wie in mittelalterlichen Kirchen üblich, waren hier wahrscheinlich mehrere Altäre aufgestellt. Der größte, wohl auch der Hauptaltar, ist der Katharinenaltar, der sich heute ebenfalls im Städtischen Museum befindet. Das Retabel mit der stillenden Maria könnte zu einem kleineren Nebenaltar gehört haben. Die Kranken, aber auch die pflegenden Ordensschwestern und -brüder baten an den Altären um Heilung und Vergebung der Sünden und erhofften sich besondere Fürsprache durch die Heiligen, denen der Altar gewidmet war. Die stillende Maria dürfte vor allem Frauen mit gynäkologischen Problemen und Gebärenden Trost gespendet haben.

Ein kunsthistorisch bedeutsames Werk

Das Retabel entstand wohl um das Jahr 1415 in der kunsthistorischen Epoche der Spätgotik, in der Altäre dieser Art beliebt waren. Seinen Weg ins Aschersleber Museum fand er nach dem Abbruch der Kapelle des Katharinenhospitals um 1885. Denn obwohl das Museum erst 1908 gegründet worden war, bestand seit den 1880er Jahren eine kleine Sammlung in den Räumen des Rathauses. Ob sich das Retabel dort befand oder wo es sonst gelagert worden sein könnte geht aus den Unterlagen des Museums aber nicht hervor.

Das Motiv auf dem Ascherslebener Altar ist gleich in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich – zeigt es die Gottesmutter nicht nur stillend, sondern gleichzeitig auch während der Krönung. Die Kombination dieser beiden Motive findet kaum weitere Beispiele in der gotischen Kunst.